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Design im Alltag: Können Sie sich rosafarbene Ferraris vorstellen?

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Designerinnen und Designer müssen die Zukunft antizipieren: Miele zeigte 2016 in Mailand erstmals «The Invisible Kitchen», um zu zeigen, wie Küche, Kochen und anderes in Zukunft aussehen und funktionieren könnten. © Miele

Ich nicht. Ferraris sind rot, Waschmaschinen weiss und Staubsauger zum Staubsaugen da. Welche Rolle das Design auch bei scheinbar alltäglichen Dingen spielt, und wie die Farbwahl von Produkten sogar zum Kulturgut wird, das zeigt Andreas Enslin, Vice President vom Design Center bei Miele.

Andreas Enslin
Vice President des Design Centers bei Miele, das im deutschen Gütersloh fünfzig Designerinnen und Designer sowie Expertinnen und Experten beschäftigt.

Backofen, Kochfeld oder Dunstabzugshaube – spielt hier das Design überhaupt eine Rolle?
Andreas Enslin: Unternehmen wie Apple, Mercedes oder Dornbracht wären ohne ihr exzellentes Design und eine klare Strategie dahinter gar nicht denkbar, geschweige denn langfristig erfolgreich. Auf Miele bezogen, bedeutet dies: Das Design ist nicht nur für Küchengeräte von entscheidender Bedeutung, sondern auch für alle anderen Geräte wie beispielsweise Waschmaschinen oder Staubsauger – und damit für den Erfolg des Unternehmens.

Welche Aufgabe hat das Design?
A.  E.: Auf der strategischen Seite übersetzt das Design die Marke in typische, einzigartig gestaltete Produkte. Diese müssen in allen Punkten überzeugen, also nicht nur durch eine «hübsche» Hülle. Deshalb kümmern sich Design-Expertinnen und -Experten bei Miele um die Erfahrung mit den Produkten, wie also ein Signalton, ein Antrieb, eine Tür beim Öffnen oder Schliessen klingt, dass Bedienungen intuitiv sind und sich Bedienelemente hochwertig anfühlen.

Und wie ist es mit dem Staubsauger – der verbringt ja die meiste Zeit im Schrank?
A.  E.: Das Gesicht der Marke muss sich wie ein roter Faden durch sämtliche Produktkategorien ziehen. Auch ein Staubsauger muss also die Erwartungen der Kundinnen und Kunden immer wieder aufs Neue erfüllen, nicht nur am POS (Point of Sale, also zum Beispiel im Laden), sondern auch, wenn er die meiste Zeit im Schrank steht. Und das ein Produktleben lang.

Inwieweit sind Haushaltsgeräte überhaupt sichtbar?
A.  E.: Immer mehr Geräte im Haus werden so gestaltet, dass sie optisch in den Hintergrund treten. Der Trend nennt sich «ShyTech». Die prominent inszenierte Stereoanlage oder der zentral angeordnete Küchenherd sind in modernen Wohnungen kaum mehr zu finden. Aus dem Herd ist ein hoch eingebauter Backofen mit einem in die Arbeitsplatte integrierten Induktionskochfeld mit Dunstabzug geworden, die Spülmaschine und der Kühlschrank «verstecken» sich hinter glatten Möbelfronten, und selbst Waschmaschinen werden mehr und mehr ins Wohnumfeld, zum Beispiel ins Bad, integriert. Kochen kann und soll Spass machen. Und Staubsauger, die autonom die Wohnung reinigen, stehen heute neben dem Sofa- und nicht im Schrank.

Inwiefern lassen wir uns beim Kauf überhaupt vom Design leiten?
A.  E.: Das Design spielt eine ganz entscheidende Rolle für das Vertrauen und damit für die Kaufentscheidung. Menschen handeln nicht logisch, sondern intuitiv. Das ist ein Erbe der Evolution. Wird also ein Objekt als hässlich empfunden, lässt es sich nur schwer oder gar nicht verkaufen, da weder Vertrauen in dessen Qualität noch besondere Erwartungen in dessen Leistung entstehen. Im schlimmsten Fall produziert eine übertriebene Gestaltung oder ein quietschender Drehwahlschalter serienmässig Enttäuschungen. Das Versprechen einer Marke wird dann durch das Produkterlebnis nicht eingelöst. Das Produkt floppt.

Wie finden Sie ein Design, das trendig ist und doch den breiten Geschmack trifft?
A.  E.: Geschmack ist eine sehr persönliche Sicht auf die Welt, durch den sich Haltung und Einstellung einer Person ausdrücken. Oscar Wilde wird das Zitat zugeschrieben: «Ich habe einen sehr einfachen Geschmack: Ich bin immer mit dem Besten zufrieden.» Daher darf der persönliche Geschmack bei der Produktentwicklung keine Rolle spielen.

Wie entsteht ein Design sonst, wenn nicht auf der Grundlage von «Geschmack»?
A.  E.: Es gilt, ein Produkt so zu gestalten, dass es eine lange «ästhetische Haltbarkeit» aufweist. Das Design soll also nicht modisch und kurzlebig sein, sondern zeitlos. Es kann so einen grossen Beitrag für die Nachhaltigkeit leisten.

Und was ist die Essenz von gutem Design?
A.  E.: Was gutes Design langfristig ausmacht, ist die Konzentration auf das Wesentliche, auf das, was wirklich zählt. Gelingt dies, werden zum Beispiel aus Fahrzeugen irgendwann teure «Oldtimer», Sammlerstücke, die nicht in die Schrottpresse wandern, sondern noch lange repariert, gepflegt – und eben geliebt werden.

Durchlaufen Designs auch bestimmte Testphasen?
A.  E.: Mit dem Testen von Design gibt es eine Herausforderung: Wir arbeiten an Produkten, die erst in einigen Jahren auf den Markt kommen. Oft sind es fünf, sechs oder mehr Jahre, die für das Design, die Entwicklung, die Konstruktion und die Fertigung benötigt werden. Wie aber lassen sich heute Produkte und Interfaces für die Zukunft testen, wenn das Umfeld noch die Gegenwart und nicht die Zukunft ist?

Eine gute Frage …
A.  E.: Genau. Deshalb erstellen wir sogenannte Persona-Modelle, mit deren Hilfe wir das Leben und die Bedürfnisse der Menschen in zehn Jahren versuchen zu antizipieren. Grundlage hierfür sind unsere regelmässig erstellten Zukunftsszenarien mit einer Zehnjahresperspektive, die Hinweise darauf liefern, welche sinnvollen Entwicklungen eintreten könnten. Wir kochen ausserdem mit Kundinnen und Kunden sowie Versuchspersonen, um herauszufinden, was in wenigen Jahren bereits vorstellbar und akzeptabel ist. Oder besser noch: was Menschen dann begeistern könnte.

Und wie antizipieren Sie künftige Bedürfnisse sonst noch?
A.  E.: Durch die Zusammenarbeit mit Menschen mit körperlichen und kognitiven Einschränkungen lernen wir bereits während der Entwicklung, was eine wirklich intuitive Bedienung auszeichnet, die von möglichst vielen Menschen genutzt werden kann. Es geht um «Universal Designs». Miele bietet zum Beispiel als einziger Hersteller eine moderne Waschmaschine mit Touchbedienung an, die blind bedient werden kann, die Miele WWD 131 WPS GuideLine.

Und wie ist es bei Waschmaschine und Trockner – die Farbe «Weiss» steht da kaum zur Diskussion, oder?
A.  E.: Wir haben vor einigen Jahren die Farb-Präferenzen in verschiedenen Regio­nen der Welt untersuchen lassen. Dabei hat sich gezeigt, dass es zwei Felder gibt, die die Farbwahl beeinflussen. Es sind zum einen die Farben der Umgebung, also Landschaft, Licht und Natur, und zum anderen sogenannte Archetypen – also formale Grundmuster, die aber meist mit Farben verbunden sind.

Was heisst das?
A.  E.: In Europa muss ein «richtiger» Weihnachtsbaum dunkelgrün sein und eine Waschmaschine weiss. In Asien hingegen sind Waschmaschinen farbig, und Weihnachten hat dort keine kulturelle Bedeutung, es ist aber im Kommen, weil es so schön bunt ist. Die zunehmende Integration von Waschen und Trocknen in die Wohnräume führt in beiden Regionen zu neuen Bildern. Auch bei so scheinbar langweiligen Produkten wie Waschmaschinen gibt es also eine Evolution. Das macht den Beruf des Designers so wichtig und interessant.

Ihre Arbeit dringt also weit in die Kultur einer Gesellschaft vor?
A.  E.: Genau, Designerinnen und Designer sind Kulturschaffende, sie prägen sogar nachhaltig die Alltagskultur. Der Hebel sind die grossen Stückzahlen, die erfolgreiche Produkte erreichen. Designerinnen und Designer in der Industrie haben deshalb eine hohe Verantwortung für den Erfolg eines Unternehmens und manchmal einer ganzen Volkswirtschaft – und grosse Bedeutung für die Nutzerinnen und Nutzer, da es die Alltagskultur definiert. Oder könnten Sie sich rosafarbene Ferraris als Ikonen des italienischen Automobilbaus vorstellen? So kann Farbe sogar zum Kulturgut werden.

Das Interesse war gross: Miele präsentierte 2018 eine patentierte Lösung, wie sich Waschmaschine und Trockner optisch perfekt in kleine Bäder integrieren lassen. © Miele
Autorin

Sabine Born

Redakteurin HEV Wohneigentümer

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