Reichmuths Faktencheck zum Eigenmietwert
Die Ausgangslage: Am 28. September stimmt die Schweiz über die Abschaffung des Eigenmietwerts ab. Gemäss den Zahlen der Eidgenössischen Steuerverwaltung würde dieser Schritt zu Steuerausfällen bei Bund, Kantonen und Gemeinden von insgesamt 1,78 Milliarden Franken führen (siehe hier).
Warum das wichtig ist: Die Abschaffung des Eigenmietwerts, also des fiktiven Einkommens von Hausbesitzern über ihre Liegenschaft, ist heftig umstritten. Die Gegner der Abschaffung bei linken Parteien und Mieterverbänden argumentieren unter anderem mit den angeblichen Steuerausfällen. Doch stimmt es wirklich, dass dem Fiskus ein Milliardenbetrag entgehen würde?
Das Zitat: «Bei einer Abschaffung [des Eigenmietwerts] muss die gesamte Bevölkerung die Zeche zahlen. Alle müssen mehr Steuern bezahlen oder erhalten weniger Service public (...).» (Carlo Sommaruga, SP-Ständerat und Präsident des Schweizerischen Mieterverbands, siehe hier)
Um das geht es:
- Der Eigenmietwert ist das fiktive Einkommen, das Hausbesitzer, die in ihrer eigenen Liegenschaft wohnen, mit einer Vermietung theoretisch erzielen könnten.
- Der Eigenmietwert muss in der Schweiz seit 1934 versteuert werden. Damals wurde er per Notrecht als Krisenabgabe eingeführt.
- Im Gegenzug können Hausbesitzer die Zinsen für Hypotheken und die Unterhaltskosten für die jeweiligen Liegenschaften vom steuerbaren Einkommen abziehen.
- In den letzten Jahrzehnten gab es mehrere vergebliche Versuche, den Eigenmietwert abzuschaffen.
- Gegen den Eigenmietwert und die erwähnten Abzüge werden unter anderem diese Gründe angeführt: Der Eigenmietwert sei ungerecht, weil es sich um fiktives Einkommen handle. Er mache vor allem Hausbesitzern im Rentenalter zu schaffen, die kein grosses (effektives) Einkommen mehr haben und weitgehend schuldenfrei sind. Die heutigen Regelungen setzten falsche Anreize, weil sie Hausbesitzer verleiteten, sich möglichst hoch zu verschulden. Sie machten zudem das Steuersystem unnötig kompliziert.
- Letztes Jahr hat das Parlament beschlossen, den Eigenmietwert abzuschaffen. Im Gegenzug sollen die Unterhaltskosten nicht mehr abzugsfähig sein. Die Schuldzinsen sollen nur noch stark eingeschränkt abgezogen werden können (siehe hier).
- Weil die Abschaffung des Eigenmietwerts mit einer Verfassungsänderung verbunden ist, kommt es automatisch zu einer Volksabstimmung. Diese findet am 28. September 2025 statt.
- Für die Abschaffung sind die bürgerlichen Parteien (inklusive Grünliberale) und der Hauseigentümerverband, gegen die Abschaffung die linken Parteien und der Mieterverband.
Folgen für die Steuereinnahmen: Gemäss den Berechnungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) führt der Systemwechsel (Abschaffung des Eigenmietwerts, Unterhaltungskosten nicht mehr abzugsfähig, Schuldzinsen nur noch stark eingeschränkt abzugsfähig) zu Steuerausfällen von insgesamt 1,78 Milliarden Franken. Davon fallen 400 Millionen Franken beim Bund an, der Rest fällt bei den Kantonen und Gemeinden an. Zur Berechnung der ESTV gibt es mehrere Einschränkungen:
Einschränkung 1: Die Steuerausfälle gelten nur bei einem Zinsniveau von 1,5 Prozent.
- Bei einem höheren Niveau der Hypothekarzinsen könnten die Hausbesitzer im heutigen System mehr Schuldzinsen vom steuerbaren Einkommen abziehen. Entsprechend würde der angestrebte Systemwechsel und der Wegfall dieser Abzüge zu insgesamt geringeren Steuerausfällen führen.
- Gemäss Schätzungen würden ab einem Hypothekarzinsniveau von drei Prozent unter dem Strich sogar höhere Steuereinnahmen resultieren.
- Derzeit ist das Hypothekarzinsniveau zwar klar unter drei Prozent. Vor drei Jahren lag es aber noch darüber. Im langjährigen Durchschnitt betrug der Zinssatz von zehnjährigen Festhypotheken rund vier Prozent.
Einschränkung 2: Die Reaktion der Kantone ist offen.
- Um den Kantonen entgegenzukommen und deren Steuerausfälle zu beschränken, hat das Parlament ihnen einen gewissen Spielraum zugestanden. So können die Kantone eine Objektsteuer auf selbstbewohnte Zweitliegenschaften einführen. Zudem haben sie das Recht, die steuerlichen Abzüge für energetische Sanierungsmassnahmen (die eigentlich abgeschafft werden) doch zuzulassen.
- Je nach Verhalten der Kantone kann das deren Steuereinnahmen um insgesamt mehrere hundert Millionen Franken verändern.
- Die ESTV ist in ihrer Schätzung davon ausgegangen, dass kein Kanton die Objektsteuer für Zweitliegenschaft einführt und alle Kantone die steuerlichen Abzüge für energetische Massnahmen weiterhin zulassen. Die ESTV nahm also den schlechtesten Fall bezüglich der Steuereinnahmen an.
Einschränkung 3: Dynamische Effekte und ihre Folgen für die Steuereinnahmen sind nicht berücksichtigt.
- Die Schätzung der ESTV ist statisch. Es werden nur die direkten Effekte durch die Änderung des aktuellen Systems einbezogen, nicht aber diejenigen, die sich ergeben, wenn sich die verschiedenen Akteure wegen veränderter Anreize anders verhalten (dynamische Effekte). Es gibt mehrere mögliche dynamische Effekte, die sich auf die Steuereinnahmen auswirken können.
- Beispiel 1: Wenn die Hausbesitzer weniger Steuern bezahlen müssen, weil der Eigenmietwert wegfällt, haben Sie mehr Geld zur Verfügung. Sie können dieses behalten oder anderweitig ausgeben. Das generiert wiederum höhere Steuereinnahmen – zum Beispiel wegen mehr Vermögenssteuern und/oder mehr Mehrwertsteuern.
- Beispiel 2: Weil der Eigenmietwert wegfällt, können sich mehr Leute ein Haus leisten. Die Nachfrage nach Wohneigentum nimmt zu, entsprechend steigen die Preise. Bei Verkäufen werden darum höhere Grundstückgewinnsteuern fällig.
Die Berechnungen des Hauseigentümerverbands (HEV) Region Winterthur (siehe hier): Der Verband hat ausgerechnet, welchen Effekt der angestrebte Systemwechsel beim Eigenwert auf die Steuereinnahmen hat, wenn man die erwähnten nicht berücksichtigten Wirkungen einbezieht. Das Resultat sieht so aus (bei einem Hypothekarzins von 1,5 Prozent):
- Die Berechnung geht vom statischen Steuerausfall von 1,78 Milliarden Franken der ESTV aus.
- Bei der Berechnung wird angenommen, dass die Hälfte der Kantone eine Objektsteuer auf Zweitliegenschaften einführt. Das führt zu Mehreinnahmen von total 130 Millionen Franken.
- Weiter wird angenommen, dass nur die Hälfte der Kantone die Abzüge für energetische Sanierungsmassnahmen zulässt. Das führt zu Mehreinnahmen von insgesamt 300 Millionen Franken.
- Zudem schätzt der HEV, dass sich die Grundstückgewinnsteuern infolge höherer Preise von Häusern um 1,9 Milliarden Franken erhöhen.
- Unter dem Strich ergibt sich eine Erhöhung der totalen Steuereinnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden von 550 Millionen Franken.
- Die angestrebte Systemänderung würde sich für den Fiskus insgesamt also sogar lohnen.
Meine Einschätzung: Es ist unklar, wie sich der Systemwechsel beim Eigenmietwerts wirklich auf die Steuereinnahmen auswirkt. Unter Berücksichtigung aller Effekte könnten die Ausfälle deutlich kleiner sein als behauptet, oder es könnten sogar zusätzliche Einnahmen resultieren. Das Argument der Gegner, die Vorlage führe zu milliardenschweren Steuerausfällen, ist jedenfalls auf Sand gebaut.
Alex Reichmuth, Nebelspalter
Der Nebelspalter berichtet in der Onlineausgabe am 30. Juni 2025 über die Analyse von HEV-Geschäftsführer Ralph Bauert über die Fakten zur Abschaffung des Eigenmietwerts.
Nebelspalter Online vom 30. Juni 2025
Ob die Abschaffung des Eigenmietwerts zu Steuerausfällen führt, ist unklar
PDF
|
335 KB
Download