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Betriebsschliessung wegen Corona stellt keinen «Mangel an der Mietsache» dar

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Ein wesentlicher und in der Rechtsauffassung der verschiedenen Parteien nach wie vor strittiger Punkt ist das Thema, ob aus einer unter Notrecht verhängten Betriebsschliessung von einem Geschäftsmieter ein Mangel an der Mietsache abgeleitet werden, bzw. ein solcher geltend gemacht und darauf basierend eine Herabsetzung des Mietzinses eingefordert werden kann (s. Art. 259d OR).

Der HEV Schweiz hat deshalb dazu einen neutralen und anerkannten Fachexperten um seine Gutachterliche Stellungnahme zur juristischen Interpretation dieser Frage ersucht. Dies nicht zuletzt angesichts der von Mieterverbandsanwälten und auch verschiedenen Branchenverbandsvertretern kolportierten Interpretation, dass die infolge von Covid-19 angeordneten Betriebsschliessung «einen Mangel an der Mietsache» darstelle und der Mieter daher einen Anspruch auf Mietzinsherabsetzung habe.

Die entsprechende Gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. iur. Peter Higi, ehemaliger Lehrbeauftragter und Titularprofessor der Universität Fribourg, befindet sich im Anschluss dieses Artikels. Peter Higi gilt als neutrale und anerkannte Koryphäe des Mietrechts und ist unter anderem Verfasser des Kommentarwerks «Zürcher Kommentar zum Mietrecht». Seine juristische Expertenmeinung wird häufig auch vom Bundesgericht zitiert.

Ungeachtet der Rechtslage ruft der HEV Schweiz die Vertragsparteien weiterhin dazu auf, in jenen Fällen Lösungen auszuhandeln, wo krisenbedingt – z.B. aufgrund einer angeordneten Betriebseinstellung – eine finanzielle Notsituation eintritt. Solche Lösungen müssen auf die konkrete Situation bezogen und für beide Seiten tragbar sein. Die Bereitschaft der Parteien zum gegenseitigen Aushandeln von Lösungen ist jedoch nicht allein im Mietbereich erforderlich, sondern auch im Rest der Zahlungskette, nämlich bei Banken als Hypothekargeber, Zulieferern wie Wasser- und Energielieferanten (öffentliche Werke) usw.

Der HEV Schweiz dankt all jenen Vermietern, Mietern und weiteren Beteiligten, die zum Wohle aller konstruktiv solidarisch zur gemeinsamen Überwindung dieser Krise beitragen.

Gutachterliche Stellungnahme

zur Frage der Herabsetzung des Mietzinses wegen Mängeln des Geschäftsraums im Zusammenhang mit der "Corona-Pandemie"

1. Ausgangspunkt

In den Medien las man in den vergangenen Tagen immer wieder, die vom Bundesrat und den kantonalen Behörden angeordneten Verbote, welche die vertragsgemässe Benutzung eines Geschäftsraums vorübergehend verunmöglichen, stellten einen Mangel der Mietsache dar, für den der Vermieter einzustehen habe. Es könne daher vom Vermieter die Herabsetzung des Mietzinses verlangt werden. Deswegen wurde ich auch von Medien kontaktiert und zitiert. Rechtsanwalt lic. iur Hans Egloff, Präsident des HEV Schweiz, hat das zum Anlass genommen, um mich als seit 30 Jahren in Praxis und Lehre mit dem Mietrecht befasste Person zu kontaktieren und mich um eine kurze gutachterliche Stellungnahme gebeten.

2. Massgebliche Bestimmungen – Eingrenzung der Thematik

Eine Herabsetzung des Mietzinses im hier interessierenden Kontext (Mangel der Mietsache) setzt voraus, dass die Miete vom Mieter bereits angetreten ist. Im Folgenden wird nur dieser Aspekt behandelt.

Massgebliche Bestimmungen sind daher nebst dem Art. 253 OR die Art. 256 Abs. 1 und 259a–d OR. Es handelt sich dabei um allgemeine Bestimmungen des Mietrechts, die für alle Arten der Miete gelten und nichts mit dem sog. Missbrauchsrecht i.S. der Art. 269 ff. OR zu tun haben (und ebenso wenig mit dem Anwendungsbereich, in dem der Bundesrat mit der VMWG Ausführungsvorschriften erlassen darf). Soweit mir gerade erinnerlich, gelten die Art. 256 Abs. 1 und 259a–d OR uneingeschränkt auch dort, wo allgemeinverbindliche Rahmenmietverträge bestehen (anderes wäre fragwürdig).

3. Mangel der Mietsache

Mit dem Abschluss eines Mietvertrages für einen Geschäftsraum gehen die Parteien ein Dauerschuldverhältnis ein, zu dem der Vermieter dem Mieter verspricht, gegen Entgelt Räumlichkeiten zu überlassen, in denen der Mieter seinem Geschäft nachgehen kann (z.B. Coiffeursalon, Studio für Podologie, Restaurant) – dieses Geschäft ist nicht Bestandteil des Mietvertrages, sondern besteht unabhängig von diesem als Teil der Rechtssphäre des Mieters. Die vom Vermieter überlassenen Räumlichkeiten müssen sachlich für das taugen, was als Vertragszweck von den Parteien bestimmt wurde, und sind vom Vermieter entsprechend zu unterhalten.

Der Mieter hat in der Regel keine Pflicht, die Sache zu gebrauchen, ausser es sei eine Gebrauchspflicht vereinbart (darauf wird gesondert eingegangen). Kann nun eine Podologin oder ein Coiffeur wegen behördlicher Anordnungen keine Kunden mehr empfangen, liegt das offenkundig nicht am Mietlokal bzw. dessen Zustand, sondern an der vom Mieter ausgeübten Geschäftstätigkeit, die zur Zeit nicht erlaubt ist. Gleiches gilt beim behördlichen Verbot, ein Restaurant geöffnet zu halten. Es fehlt insoweit leicht erkennbar an einer Grundlage für die Herabsetzung des Mietzinses wegen Mangelhaftigkeit der Sache.

4. Störung im Gebrauch

Durch die behördlichen Verbote ist der Betrieb des Geschäftes des Mieters gestört. Ein Aspekt dieser Störung ist, dass er von der Mietsache nicht den Gebrauch machen kann, den er will. Im Gebrauch selbst ist er nicht gestört. Die Ursache dafür liegt m.a.W. nicht in einer fehlerhaften Leistung des Vermieters, sondern an der Unmöglichkeit des Mieters, seinem Geschäft wie gewollt nachzugehen. Diese Unmöglichkeit ist eine sog. subjektive, weil in der Art des Geschäfts des Mieters begründet – andere können weiterhin ihren Geschäften nachgehen. Ein eingeschränkter Gebrauch ist immerhin auch dort möglich, wo das Verbot den Geschäftsbetrieb als solchen betrifft: Der Wirt kann z.B. Inventur machen oder einen Takeaway-Betrieb unterhalten, die Podologin kann die Buchhaltung à jour halten.

Auf der anderen Seite gilt es zu beachten, dass kein Vermieter die Möglichkeit hat, die durch die behördlichen Verbote bewirkte Störung des Betriebes des Mieters zu beseitigen (vgl. Art. 259b). Es liegt insoweit eine objektive und zugleich unverschuldete Unmöglichkeit i.S. des Art. 119 OR vor. Der Vermieter hat daher die Störung des Betriebs nicht zu vertreten, was sich nebenbei auch darin zeigt, dass eine Ersatzvornahme des Mieters (vgl. Art. 259a lit. b OR) ausgeschlossen ist, wenn und weil er die Sache nur eingeschränkt gebrauchen kann.

Es fehlt somit auch in Bezug auf die Störung des Gebrauchs an einer Grundlage für eine Herabsetzung (und ebenso für Schadenersatz i.S. des Art. 259e OR).

5. Gebrauchspflicht

Wurde eine Gebrauchspflicht vereinbart, ist also der Mieter verpflichtet, in seinen Mietlokalitäten sein Geschäft zu betreiben, und verunmöglichen ihm das die behördlichen Verbote, weil solche Geschäfte nicht betrieben werden dürfen, so liegt in Bezug auf die Gebrauchspflicht eine objektive unverschuldete Unmöglichkeit vor. Der Mieter ist von seiner Gebrauchspflicht befreit (sog. Teilunmöglichkeit), solange das verbot besteht. Im Übrigen gilt das vorhin ausgeführte.

6. Abschliessende Bemerkung

Meine Stellungnahme basiert auf dem Gesetz und den allgemeinen Prinzipien, die im Vertragsrecht gelten, so wie ich sie beschränkt auf die Herabsetzungsproblematik verstehe. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der sog. Literatur oder der davon verschiedenen Lehre habe ich nicht vorgenommen.

Das Thema veranlasst mich zu folgender persönlichen Schlussbemerkung: In schwierigen Zeiten wie diesen, in denen viele Geschäfte in existentielle Nöte geraten, sind ausserrechtliche Werte wichtig: gegenseitiges Verständnis und Hilfsbereitschaft. Bedauerlich, wenn das vergessen zu gehen droht.

Zürich, 26. März 2020

Autor

Prof. Dr. iur. Peter Higi

Quelle: HEV Schweiz

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